Südtiroler Illustrierte
11 Aprile 2002 

Welt in der Nische

di Georg Mair


Literatur: Carmine Abate der im Trentino lebt, ist einer der erfolgreichsten italienischen Autoren der Gegenwart. Er lässt im Kleinen das Große entstehen.

Eines Tages nahm er eine Landkarte in die Hand und suchte einen Platz zum Bleiben. Und fand ihn dort, wo die zirka 2.500 Kilometer zwischen Hamburg und Kalabrien sich teilen, im Trentino. Dort, wo die Landschaft und das Licht schon wieder anders sind als in Südtirol. Und die Menschen weniger verklemmt und weniger reich.

In Besenello, in der Nähe von Rovereto, dem Ort, der durch das mächtige Schloss bekannt ist, hat der Schriftsteller Carmine Abate sich eingerichtet. Er lebt dort mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in einem schlichten Reihenhaus. Seine Frau, die an der Universität Trient Deutsch unterrichtet, hat er in Deutschland kennen gelernt, wo Deutschland so richtig Deutschland ist, in Bielefeld.

Vor fast 30 Jahren zwang ihn das Kalabrien, das er so sehr liebt(e), nach Deutschland, er unterrichtete in Hamburg, Lübeck, Bielefeld und Köln die Kinder der italienischen Emigranten in Italienisch. Selbst für einen Akademiker gab es keine Arbeit im Land zwischen den zwei Meeren, in der dürren Landschaft, die sich zwischen dem Tyrrhenischen und dem Jonischen Meer ausbreitet. Dabei hatten ihn seine Eltern in Bari studieren lassen, damit er bleiben konnte.

In Deutschland traf Abate seine Frau, die Soziologin Meike Behrmann, sie lehrte ihn den fremden Blick auf sein Land. Einen kühleren Blick, einen distanzierteren Blick. Den kritischen Blick also. Ausgerechnet Carfizzi, Abates Dorf, war das Untersuchungsobjekt seiner Frau. Daraus entstand die Studie "Die Germanesi" über die Emigration aus Kalabrien nach Deutschland, die 1984 im Campus-Verlag erschien. Sein erster Erzählband - "Den Koffer und weg" - erschien in Deutschland. Vielleicht gerade der richtige Ort für einen, für den Italienisch eigentlich eine Fremdsprache ist.

Gesänge der Kindheit. Carmine Abate, ein warmherziger Mensch, wurde im Jahr 1953 in Carfizzi geboren, einem Ort in der Provinz Crotone, der im Sommer doppelt so viele Einwohner hat wie im Winter. Im Sommer, wenn die Emigranten wieder ihr Häuser beziehen, leben an die 1.300 Menschen in der Gemeinde, in der heute noch albanisch gesprochen wird. "Wir werden", sagt Carmine Abate "immer weniger." Seine Bücher sind von einer besonderen Melodie begleitet, der Melodie seiner Muttersprache. "Ich bin weniger von der modernen Literatur beeinflusst", erzählt er, "als von den Gesängen meiner Kindheit."

Abate ist ein Arberesh, er gehört zur albanischen Minderheit in Italien. Seine Muttersprache ist Albanisch, Italienisch hat er erst in der Volksschule gelernt. Sein Vater - er arbeitete in Hamburg bei einer Straßenbaufirma - ist wieder nach Kalabrien zurückgekehrt und kümmert sich als Pensionist um seine Olivenbäume und seine Reben. Vier Jahre war der Junge alt, als sein Vater im Jahr 1957 nach Deutschland zog. Als Abate die Matura bestanden hatte, ging auch seine Mutter nach Deutschland, seine Schwester lebt immer noch dort.

Auch deshalb winden Abates Bücher sich immer zwischen diesen zwei Welten, sie spielen an Kreuzungen, in Zwischenländern, in denen die Menschen sich erst einrichten müssen. Wie in seinem letzten Buch "Tra due mari" (200 S., 14,60 Euro), das vor kurzem bei Mondadori erschienen ist und von dem die erste Auflage von 8.000 Exemplaren schon verkauft ist. Das Buch bereitet dem Autor Mühe und Freude. Freude, weil die größten italienischen Medien das Buch positiv aufgenommen haben, und Mühe, weil er seit Erscheinen des Buches in ganz Italien unterwegs ist, zwischen Bozen und Sizilien. "Tra due mari", das auch schon nach Holland und Frankreich verkauft ist, ist Abates Durchbruch. Er hat sich deshalb sogar von der Schule beurlauben lassen. Tatsächlich ist es ein Buch, das man nicht aus der Hand legen will, eine Anziehungskraft geht von dem Roman aus, die nicht mit der Lektüre zu Ende ist.

Kreuzungen. Es ist das erste Buch Abates, in dem das Arberesh nur untergründig eine Rolle spielt. "Es ist meine Versöhnung mit Kalabrien", sagt Abate, "es hat lange gedauert, bis ich verstanden haben, dass die Wanderschaft eine Bereicherung ist, dass mir die Emigration einen anderen Blick auf meine Heimat erlaubt." Sein Verhältnis zu Kalabrien, erzählt er, sei immer ein leidenschaftliches gewesen, "eine Leidenschaft, die den Zorn einschließt".

"Tra due mari" ist die Geschichte zweier sturer Alter, einer Familie, die sich von Kalabrien aus nach Deutschland verzweigt und wieder zurück, es ist die glückliche Wiedervereinigung zweier Welten, die sich über die Jahrhunderte gesucht haben. Drei Generationen lässt Abate auftreten, Menschen, die um ihr Leben kämpfen, um ihre Erinnerung, die Alten, die Widerstand leisten, und die Jungen, die erst verstehen müssen, was die Erinnerung wert ist und dass es ein Glück ist, wenn einer aufrecht steht. Am Anfang des Romans stehen die Großväter, der Junge, der von zu Hause ausgerissen ist, und der Fotograf aus Deutschland, der ein fremdes Land entdeckt; in der Mitte stehen ihre Kinder, die sich gefunden haben; und am Ende ist es der Enkel aus Hamburg, der ein Mädchen aus Roccalba, dem Ort der Handlung, heiratet. Einem Ort, den man gern einmal besuchen würde. "Tra due mari" ist ein Roman mit einem grausamen und mit einem glücklichen Ende. Jemand stirbt, die Mafia mordet, jemand kommt zum Leben, weil er bewusst ein Erbe antritt, das er lange abgelehnt hat.

Es ist ein Roman der Lust, der Lust am Essen und Trinken, der Lust am Beischlaf. Ein sinnlicher Roman in der Wärme Kalabriens und in der Kälte Hamburgs. Ein Roman, aus dem die Stimmen ausschwärmen und zwitschern wie der Chor der Vögel am frühen Morgen in den Feigenbäumen, wenn in Kalabrien die Sonne aufgeht. Gerüche, Farben ziehen durch das Buch, von Töpfen und Pfannen wird der Deckel gehoben. Abate lässt Menschen und Landschaften vor den Augen des Lesers entstehen, er ist ein Maler, der nicht mit Farben spart, ein Fotograf, der die Freuden und die Sünden einer Gesellschaft ins Bild setzt. Abate hört die Stimmen, die vom Gestern ins Heute dringen, und übersetzt sie in die Zukunft, in eine Zukunft, die man mit multikulturell umschreiben könnte, wenn nur das Wort nicht so hässlich wäre.

Gerüche und Farben. Wenn Abate schreibt, hat er immer ein Bild vor Augen. Für das neue Buch war es ein junger Mann, der mit geschlossenen Augen fast in ein rotes Auto rennt, einen VW-Käfer. Einerseits. Und andererseits war es die Geschichte vom "Fondaco dei fichi", einem Gasthaus, in dem im 19. Jahrhundert die Reisenden verkehrten, und das genau in der Mitte Kalabriens liegt. Dort, so die Geschichte, ist einmal sogar Alexandre Dumas abgestiegen. Carmine Abate hat nach dem Gasthaus gesucht. Und keine Überreste mehr gefunden. Aber an dem Platz, wo die Zeugnisse von früher es ansiedelten, hat er die Gerüche und die Stimmen der Vergangenheit in sich aufgenommen. Und er sah, was daraus werden würde. "Ich sah, wie das Gasthaus zerstört wurde, und ich sah, wie ich es wieder aufbauen würde." Im Roman, natürlich nur im Roman, wird das Gasthaus zu einer Obsession. Es bringt den Tod und das Leben.

Die zeitgenössische Literatur sucht sich ihre Nischen, in der Nische verbirgt sich die Welt, bei Carmine Abate wie bei seinem Freund Joseph Zoderer (beide auch Ästheten der Langsamkeit, beide verwandt durch ein sinnliches Erzählen und die Erfahrung der Fremde). Das war früher anders, früher lehnten die Verlage Abates Bücher mit dem Argument ab, sie behandelten ein Randthema, den neuen Roman hätten alle großen italienischen Verleger haben wollen. Das liegt nicht nur am Thema - heute rücken die Ränder ins Zentrum, das liegt auch daran, dass Abate zum ersten Mal ein voll tönendes Orchester auftreten lässt, das einen Zustand der Leichtigkeit erreicht hat. Abate ist kein experimenteller Autor, er erzählt Geschichten. Immer wieder überarbeitet er sein Manuskript, so lange, sagt er, "bis in jedem Kapitel etwas passiert, bis sich aus jedem Kapitel eine Story entfaltet."

Im Handel